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Autorenbild: Maria SchiffingerMaria Schiffinger

Maria Schiffinger: Die Schätze am Dachboden. In: Susanne Hönig-Sorg (Hg.): Im Fluß der Zeit. Horn 1994, S.47-51

2. April 1945: Nach dem Bombenangriff auf Krems war auch der rückwärtige Teil des Geschäftshauses in der Mondlgasse zerstört.
2. April 1945: Nach dem Bombenangriff auf Krems war auch der rückwärtige Teil des Geschäftshauses in der Mondlgasse zerstört.

Als ich geboren wurde, war das Haus in der Unteren Landstraße schon wieder aufgebaut. Ich kannte es niemals anders als heil und ganz, im Unterschied zu den Häusern gegenüber unseren Fenstern in der Mondlgasse und im Eisentürhof, die noch lange nach dem Bombenangriff bis spät in die Fünfzigerjahre zerstört blieben. Der ganze Eisentürhof, wie der Komplex hinter unserem Haus hieß, war durch den Bombenangriff vom 2. April 1945 zerstört worden wie auch andere Teile der Stadt, zum Beispiel das Bahnhofsviertel; doch das war schon weiter weg. Das Haus in der Unteren Landstraße war mein Zentrum, obwohl es am Ende der Landstraße lag, am Ende der Hauptstraße durch die Altstadt.


Dass das Haus bombardiert worden war, ein Teil davon zerstört, das Dach aufgerissen, dass man nur mehr die Sparren sah, konnte ich eigentlich nie glauben. Es erschien mir wie ein Märchen, ähnlich den Erzählungen, dass gleich danach angefangen wurde, die alten Ziegel für den Neuaufbau abzuklopfen und dass da alle zusammengeholfen haben. Auch der Scheibenpflug, der Glasergeselle, war dabei gewesen.


Ab 1947: Wiederaufbau mit Neubau der beiden Balkone. Rechts oben blickt die jung verheiratete Maria Salomon, geb. Pöschl, aus dem Fenster.
Ab 1947: Wiederaufbau mit Neubau der beiden Balkone. Rechts oben blickt die jung verheiratete Maria Salomon, geb. Pöschl, aus dem Fenster.

Das war nur etwa drei Jahre, bevor ich geboren wurde, und doch hatte ich immer das Gefühl, es wäre in grauer Vorzeit passiert, die aber scheinbar näher rückt, so wie Stadtmauern näher gerückt waren mit dem Steinertor und den Gassen und Straßen, bis man alle Namen gekannt hatte und sogar den Erbauer der Stadtpfarrkirche.


Vielleicht aber ist es so ähnlich wie beim Kreuzberg, an dessen Abhang sich die Stadt lehnt und unter dessen Lössterrassen sich Überreste von früher befinden, Feuerstellen zum Beispiel oder Steinspitzen aus der Steinzeit, die dann und wann freigegeben werden und dann greifbar nah vor einem liegen. Obwohl ich mir die Bombardierung nicht vorstellen konnte, musste ich an sie glauben, denn die heimliche Bewunderung, die mir die Erzählung von der Bombardierung später einbrachte, musste ich damit bezahlen, dass die Vergangenheit, die sich auf Antiquitäten, Altertümer und Gerümpel stützt, nicht mehr da war. Der Dachboden war total leer.


Ebenerdig gab es die Glaserei und das Verkaufsgeschäft, im ersten Stock lag unsere Wohnung. Im zweiten Stock wohnten in zwei getrennten Wohnungen die Oma und Tante Mirly und Onkel Toni. Die Stiege, die sich bis dorthin in gleichmäßiger Breite, begleitet von einem prächtigen, gusseisernen Geländer bogenförmig hinaufzog, veränderte dann ihre Form. Sie wurde schmäler, der Bogen enger, die Steinstufen rauer und grauer, bis man dann vor der Dachbodentür stand. Öffnete man mit einem Schlüssel die Tür – zumeist machte dies unsere Hausgehilfin -, so konnte man sich nach rechts oder links wenden. Man sah nur einen großen, langen Ziegelboden, der unterteilt war von den Holzbalken, die solchermaßen abgestützt und seitlich hinaufstrebend, das Ziegeldach trugen. Es war staubig heroben, doch da der Boden in regelmäßigen Abständen gekehrt wurde, war es eben der Staub der Vorwoche, der hier lagerte, kein Stäubchen, das sich plötzlich in einen Schatz verwandeln konnte, womöglich in ein Goldkorn, das in einer Schatztruhe lag.


Obwohl mir immer bedeutet wurde, dass Gewinne, wenn sie nicht selbst erarbeitet waren, suspekt wären, hätte ich doch gerne etwas gefunden, etwas selbst entdeckt. Ich stellte mir vor, Ölgemälde zu finden, die sich als wertvoll entpuppten, oder Landkarten oder zumindest Briefe, die, gebündelt aufbewahrt, Geheimnisse enthielten oder zumindest wertvolle Briefmarken aufgeklebt hatten.


Obwohl ich bald begriffen hatte, dass der Dachboden nichts Wertvolles barg, ging ich doch meist mit hinauf, wenn ich von unserer Hausgehilfin gefragt wurde. Denn die Dachbodentür war immer versperrt, und so hatte es doch seinen Reiz, in etwas nicht immer Zugängliches hineinzukommen. Im linken Teil des Dachbodens hing dann meist die Wäsche auf den Wäscheleinen, mit Holzkluppen festgesteckt.


Auf den Dachboden ging ich dann später kaum mehr hinauf, nicht nur weil die Schule angefangen hatte und ich keine Zeit mehr dafür erübrigte. Ich hatte meinen Weg zu den Schätzen gefunden. Dieser lag in schwarzen Buchstaben verschlüsselt zwischen den Einbänden der Bücher, die wir aus der Stadtbibliothek in der Althangasse entliehen hatten, besonders in den Erzählungen von den fernen Ländern lag der Goldstaub der Verheißung. Da mein Bruder und ich die gleichen Bücher lasen, konnten wir uns manchmal mitsammen auf den Weg machen. So zum Beispiel folgten wir einem Radfahrer, der durch Asien radelte, durch mehrere Bücher nach.


Was sollte ich da noch allein auf dem Dachboden, der nichts barg, oder im Keller, der ebenfalls nichts Geheimnisvolles in sich trug bis auf eine feuchte Finsternis, die nicht einmal erschreckte.


Ãœber die Autorin



Martin Schiffinger

An einem wunderschönen Sommertag im Juni überquerte ein Schäferhund eine Brücke über die Enns. Er war überglücklich, denn er bekam von seinem Herrchen ein großes Stück Fleisch und durfte es allein im Park essen. Noch auf der Brücke riskierte der Schäferhund einen Blick ins Wasser, doch glaubte kaum was er dort sah. Da war ein anderer Hund mit einem größerem Stück Fleisch, als er es hatte. Der Schäfer dachte sich: „Hey, der hat einen größeren Brocken als ich. Das lass ich mir nicht entgehen.“ Er riss das Maul auf und schnappte nach dem Brocken seines Spiegelbildes. Da war aber nichts nach dem er schnappen konnte und er biss ins Leere. Und sein eigenes Stück?

Das hatte die starke Strömung der Enns schon längst fortgetragen.

Das Fleisch wäre vielleicht ein Schmaus, doch wer zu gierig ist, geht leer aus.


Ãœber den Autor




Autorenbild: Maria SchiffingerMaria Schiffinger
Tante Anni (Anna Kalt) zu Weihnachten mit Kater Boris
Tante Anni (Anna Kalt) zu Weihnachten mit Kater Boris

In den neun Jahren seines Daseins ist Tante Annis Kater zu einem vollwertigen Familienmitglied geworden, dessen Wohlergehen auch die entferntesten Verwandten interessiert. Neun Jahre haben die Erinnerungen an seine Vorgänger Burli und Fuchsi verblassen lassen; Erinnerungen, die auch bewusst verdrängt werden, da diese jeweils mit dem jähen Verschwinden dieser beiden nacheinander geliebten Katzen enden. Ein Schicksal, das wie ein drohendes Damoklesschwert über jede glückliche Verbindung mit einem selbständigen, unabhängigen Haustier hängt.

Darum wolle sie keine Katze mehr, hatte Tante Anni damals erklärt und hatte sich auf ein langes, katzenloses und damit einer gewissen Freude beraubtes Leben eingestellt. Und doch kamen und kommen jeden Tag viele Kätzchen zur Welt, ja es gibt viel mehr kleine Kätzchen, als dass es große Katzenfreunde gibt. Und wenn man da als Katzenfreundin ohne Katze dasteht, da kommt es schon vor, dass da eines Tages zwei Kinder vor der Tür warten und ein Körbchen in der Hand halten. Sie hätte aufgemacht, erzählt sie damals und da seien die Kinder gestanden und in dem Körbchen wäre Boris gelegen. In meiner Erinnerung heißt es „Boris“ und nicht der Kater, denn der Name, von Cousin Ernst gefunden, war gleich da. Boris war da und die Katzenliebe brannte heller denn je.

In jedem Buch mit Katzengeschichten, das Tante Anni seither liest, spiegeln sich die Eigenschaften von Boris, jedes Katzenbild ist sein Abglanz und jeder Katzenfigur haucht das Dasein von Boris Bedeutung ein. Doch was sind all diese Geschichten, Bilder und Figuren gegen den wirklichen Boris. Er hatte das Stadium des lieblichen Kätzchens schnell hinter sich gebracht und sich zu einem mächtigen grau-weiß getigerten Kater entwickelt. Er entpuppte sich als reinliches Tier, das von Anfang an auf sein Katzenklo ging und sich täglich sein dichtes Fell aufmerksam putzte. Oft lag er damals auf dem Bett neben Oma, wie ein dickes Ruhekissen und doch auch als Wächter ihres Schlafes, in dem sie dahindämmerte.

Boris frisst gerne und gut. Wenn man „Leber für Boris“ beim Fleischhauer verlangt, so bedeutet dies nicht unbedingt, dass man das schlechteste Stück bekommt. Immer wenn ich zu Besuch komme, steht in der Küche neben der Tür gleich sein Schälchen, meist reichlich gefüllt. „Boris ist nicht da“, sagt Tante Anni meistens. Dann kommt er irgendwann zur Tür herein, ein großes, mächtiges Katzentier, mich kaum beachtend, mich kaum mit schrägen Augen ansehend, doch mit gespitzten Ohren und die Füße der Tante umschnurrend. „Boris ist wieder da“, sagt sie dann, und mit einem gewissen Stolz: „Schau, wie eifersüchtig er ist“. Die Gespräche werden unterbrochen und Boris versorgt.

Boris ist der Herr im Haus und doch unabhängig; er kommt und geht, wie es ihm passt. Der Liebe und Zuneigung gewiss, führt er sein eigenes Leben. Da gibt es Kämpfe mit anderen (mannhaften) Katern, Auseinandersetzungen, von denen nur Verletzungen zeugen, da gibt es das Vergnügen der Jagd auf Vögel und Mäuse und Streifzüge durch die Gärten, die sich gleich hinter der Veranda erstrecken. Wind und Wetter, Schnee und Eis können ihn nicht abhalten, sich in den Dschungelkampf seines Katzenlebens zu stürzen. Wieder daheim lässt er sich auf seinen bestimmten Ruheplätzen (die nach Jahreszeiten wechseln) nieder und genießt schnurrend und mit einer gewissen kindlichen Würde die Aufmerksamkeiten und Liebkosungen, die ihm in dieser Lebensgemeinschaft zustehen. Gähnend zeigt er seine spitzen Zähne, wobei die zarten Barthaare leise zittern. Weich und fett, ausgerastet und satt verwandelt er sich jedoch bald wieder in den aggressiven, streunenden Kämpfer, der die Nacht auswärts verbringt. Das Leben mit Boris ist aufregend und wird nie langweilig werden. Er bewahrt die Geheimnisse seiner Art und ist das, als was man ihn sieht: er ist einzigartig!

So war es wie ein Schlag, als sich die Mitteilung verbreitete, dass der Kater Boris seit zwei Tagen abgängig sei. Zuerst beruhigte man sich, dass dies schon einmal vorgekommen sei. Doch das war im Sommer gewesen und jetzt war Dezember. Die frostigen Tage und die eisigen Nächte, die folgten, ließen sein Schicksal ungewiss erscheinen. Doch man tat alles, wovon man sich Erfolg versprach. Am dritten Tag suchte Tante Anni alle Plätze der Umgebung ab! Am vierten Tag fuhr meine Mutter in das Tierheim, wo sie jedoch nur fremde, graue Kater vorfand! Am fünften Tag brachte Cousin Ernst ein Plakat mit Vermisstenmeldung im nahegelegenen Lebensmittelgeschäft an! Am sechsten Tag ließen sich die Erinnerungen an Burli und Fuchsi nicht mehr verdrängen! Inzwischen war ein Warmwettereinbruch gekommen. Das Eis war geschmolzen und die festlichen Lichtergirlanden schwankten in fast frühlingshafter Luft. Die weihnachtliche Hektik strebte dem Höhepunkt zu, doch Tante Anni war wie gelähmt. Wir bemühten uns, sie zu trösten. „Es gibt bestimmt Schlimmeres auf der Welt“, sagte sie dann tapfer, doch, wenn ich dann im Geschäft die Dosen mit Katzenfutter sehe und ich möchte sie mitnehmen...“ Die Weihnachtstage näherten sich. Der hl. Antonius, versinnbildlicht durch eine gütige Statue in der Stadtpfarrkirche, mit schwarzer Eisenkasse darunter, wurde angerufen; der hl. Franziskus als Schutzpatron der Tiere berücksichtigt. Tochter Andrea, die Erstkommunion hinter sich, wandte sich mit ihrem Anliegen gleich an Gott. Scheinbar vergebens, der heilige Abend wurde ohne Boris verbracht. Am Christtag erschienen Cousin Ernst und Tante Anni zum traditionellen Besuch. In glitzernder Bluse stand sie neben dem Lichterbaum und ein Strahlen erhellte ihr Gesicht, als sie es uns verkündete: Ein Weihnachtswunder ist geschehen; heute, am Christtag ist Boris wieder zurückgekommen“.

Zeichnung von DI Ernst Kalt, Sohn von Tante Anni: Kater Boris auf dem Flügel in der Schillerstraße
Zeichnung von DI Ernst Kalt, Sohn von Tante Anni: Kater Boris auf dem Flügel in der Schillerstraße

Boris war wieder da, er hatte in seine Herberge wieder zurückgefunden! Noch liegt er schwach, zerzaust und ruhebedürftig auf seinem Sofa, doch bald werden sich die Zeiten stolzer Freude und heimlicher Befürchtungen wieder abwechseln. Aber so ist das Leben. So ist das Leben mit Boris, Tante Annis Kater.

Auch Tochter Andrea hat zu Weihnachten eine Katze bekommen; eine aus weißem Plüsch, die gehen kann und miaut. Auch das klingt so: Mi, mi, mi, Miau!


Ãœber die Autorin



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