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  • Autorenbild: Michaela Lipp
    Michaela Lipp
  • vor 3 Tagen

Aus „Labyrinth der Fantasie“ (Juni 2024) Mit der ISBN 978-3-902928-28-3 im Buchhandel bestellbar oder im Shop des L&L Verlags


Immer weiter, immer schneller. So renne ich durch dieses Labyrinth. Hinter jeder Kurve ist etwas anderes, aber wohin will ich überhaupt? Da begegnet mir Willi. Er atmet schon schwer, auch er ist hier gefangen. Oh mein Gott, wie geht es weiter? Ich gehe etwas langsamer, so dass Willi mithalten kann. Wir stützen uns gegenseitig, und manches Mal finden wir auch etwas zu essen. Oder eine Flasche Wasser. Aber es treibt uns immer weiter, immer voran. Ein paar Mal müssen wir auch durch Dornenbüsche, die uns schon wehtun. Blutige Kratzer holen wir uns davon. Wir trösten uns gegenseitig und kümmern uns um unsere Wunden. Ich habe angefangen, einen Beutel zu machen. In dem hebe ich Gegenstände auf, alles was wir so finden und vielleicht gebrauchen könnten. Ein Buch ist auch dabei. Den Beutel haben wir mit Efeuranken zu einem Rucksack umgebaut. Willi hat sein Taschenmesser dazu benutzt. Er hat jetzt auch einen Gehstock, den er am Anfang nicht hatte. Oft ist er so außer Atem, dass wir stehen bleiben müssen.

Als ich zurückschaue, sehe ich, wie eine Mauer verschoben wird. Ey, da sind wir doch gerade durchgegangen. War da eine Bewegung zu sehen? Eine Gestalt, die diese Mauer verrückt hat?

Wir reden ausführlich darüber, Willi und ich. Dieses Labyrinth scheint riesig groß zu sein. Weder weiß ich, wie ich hineingekommen war, noch wo der Ausgang ist. Aber meinem Willi geht es genauso. Wir suchen beide unser Ziel.

Ich will die Gestalt festhalten, wenn sie das nächste Mal zu sehen ist. Ich will wissen, warum sie uns den Rückweg verbaut.

Wieder laufen wir weiter, wieder habe ich Schmerzen vom ewigen Rennen. Wir machen kaum Pausen, schlafen nur wenig und sind unterwegs.

Eine Dornenhecke vor uns, wir wollen umdrehen, da sehe ich wieder die Gestalt, die uns den Rückweg versperrt. Die einfach den Durchgang zumacht. Lautlos aber nicht unsichtbar.

Wieder sprinte ich in diese Richtung, ich bin so schnell, wie ich nur kann und erwische diese hellgraue Person an ihrem Mantel.

„Was fällt dir ein, uns den Rückweg zu versperren?“ So schimpfe ich böse. Ich erkenne, es ist gar kein Mann, es ist eine Frau. Sie lächelt mich gütig an:

„Darf ich dir etwas zeigen?“

„Nur wenn Willi mitgehen kann.“

„Nun, dann geht diese Treppe hoch, ihr zwei.“

„Wir müssen aber langsam hochgehen.“

„Das weiß ich doch, darum habe ich euch diese Treppe geschaffen. Kommt mit hoch.“ Inzwischen ist Willi auch da, er schaut sich verwundert um.

„Eine Treppe? Die war doch vorhin nicht da!“

„Oh doch“, sagt da die graugekleidete Frau, „die Stufen waren da, ihr wart nur zu schnell unterwegs, um sie zu erkennen. Diese Stufen sind schon sehr lange hier und warten auf euch.“

„Du hast gesagt, du hast sie gemacht, und jetzt sagst du, sie warteten schon auf uns? Das verstehe ich nicht“, mische ich mich wieder ein.

„Hör auf, logisch zu sein, kommt jetzt die Treppen hoch, ihr alle beide.“

Langsam gehen wir die Stufen hinauf, Schritt für Schritt. Oben angekommen, stehen wir auf einer Mauer, und als wir uns umsehen, merken wir, dass wir mitten in einem Labyrinth sind. Aber wohin ich mich auch drehe, es gibt keinen Ausgang. Ich schaue Willi an, er sieht dasselbe wie ich. Wir halten uns an den Händen, und dann sehen wir die graue Frau an. Jetzt hier oben sieht sie gar nicht grau aus, sondern in herrlichen Farben gekleidet. Sie ist wunderschön, klare Linien vervollständigen ihre Erscheinung. Sie lächelt uns an:

„Das ist euer Leben, schaut euch nur um.“ Ich deute auf einen Springbrunnen, den ich nur ein paar Mauern weiter erkennen kann.

„Unser Leben? Den Brunnen sah ich niemals.“

„Ihr seid vorbeigerannt, ohne ihn zu bemerken.“ Betroffen sehe ich Willi an. Aber er sieht genauso verblüfft aus.

„Das wenige zu essen und zu trinken, das ist unser Leben?“

„Auch da seid ihr vorüber gegangen.“

„Meine Kinder, die drei. Ich sehe sie nicht mehr.“ Natürlich denkt Willi wieder an andere Sachen, wie ich.

„Schaut, da ganz hinten waren sie, kleine Kinder noch, junge Menschen. Aber das ist eure Vergangenheit. Ihr bekommt diese nicht mehr so zurück, wie ihr sie loslassen musstet. Auch deine Kinder haben sich verändert“, wendet sie sich an mich.

„Darum die verschlossenen Gänge zurück?“

„Ja, darum könnt ihr nicht in diese Zeit zurück. Ihr könnt nur vorwärts gehen. Aber vielleicht legt ihr ein anderes Tempo vor. Dann seht ihr viel mehr von eurem eigenen Leben.“

„Werden wir unsere Kinder wieder sehen?“, fragt jetzt wieder Willi die Frau.

„Wer bist du überhaupt?“, unterbreche ich Willis Frage.

„Das weiß niemand genau, welche Wege diese Menschen gehen. Aber ihr habt euch gefunden. Mein Name ist übrigens Fortuna. So jetzt müsst ihr wieder hinunter in den Irrgarten, der sich Leben nennt. Vorsichtig die Treppen benutzen. Ich muss gehen.“

„Sehen wir uns wieder?“

„Das kommt darauf an, welche Wege ihr benutzt.“

 

Wir gehen langsam, Hand in Hand hinunter. Unten angekommen, sehen wir eine Bank und setzen uns hin. Wir müssen nicht mehr rennen. Die Steinstufen nach oben verschwinden, und mit ihnen verschwindet auch Fortuna, wie eine graue Nebelschwade, die von der Sonne freudig emporgehoben wird.

 

Unter der Bank steht ein kleiner Korb, darin ist wunderbares Essen mit frischem Obst und Saft. Wir lächeln uns an.

Nein, ab jetzt rennen wir nicht mehr durch unser Leben, ab jetzt gehen wir bewusst. Glaubt mir, wir sehen nun die wunderschönen Dinge, an denen wir sonst vorüber liefen und die vielen anderen Menschen, die uns eine Zeitlang begleiten.

Die Dornenhecken werden, sobald wir langsam hinkommen, zu Rosenbüschen, die sich etwas zurückziehen oder sie werden zu Himbeersträuchern voll leckerer Früchte. Wir finden jetzt immer schöne Möglichkeiten zum Übernachten und irgendwann auch ein kleines Haus, an einem Schwimmsee vor einem Wald mit vielen Pilzen.

 

Die Mauern unseres Labyrinths sehen wir noch immer, aber jetzt sperren sie uns nicht mehr ein, sondern sie schützen uns.

Danke Fortuna!


Über die Autorin



  • Autorenbild: Wilhelm Maria Lipp
    Wilhelm Maria Lipp
  • vor 3 Tagen


Als Baby ist man schutzlos, nackt

noch unverdorben, Sünden frei.

Man schreit, man nuckelt, schläft und kackt

und wenn die Stimme mal versagt,

kommt jemand rasch, sagt „Ei, ei, ei!“


Als Kind man gern und häufig spielt,

man ahmt die „großen Menschen“ nach,

ob Vater streng, ob Mutter mild,

ob Fernsehheld mit einem Schild,

ob Lebensretter auf dem Dach.


Als Schüler man die Maske braucht

zum Meistern der Alltäglichkeit.

Die Arbeit fehlt? Am Klo geraucht?

Zu viel vom Mitschüler gebraucht?

Maskiert erreicht man Straffreiheit.


Die Jugend nutzt die Masken gleich

zum Proben, was man einmal will.

Als Punk, als Softie, hart und weich

erkundet man den Sex-Bereich.

Nur anders sein, das ist das Ziel.


Erwachsen ist Mann streng, gerecht

und zeigt auf keinen Fall Gefühl.

Man sagt nicht, was man gerne möcht’,

zu Hause helfen wäre schlecht.

Ein Macho-Mann ist immer kühl.


Die Maskenkünstlerin ist Frau,

die unverdrossen zupft und färbt,

gekleidet raffiniert und schlau

oft hadert mit dem Körperbau,

wenn’s sein muss, ihre Haut auch gerbt.


Das Leben fordert Maske ein,

denn Wahrheit ist nicht int’ressant.

Was heute zählt, ist nicht das Sein,

viel wichtiger ist nur der Schein,

so kommt man weit, ist wohlbekannt.


Zu selten gibt es den Moment,

wo man sich gehen lassen kann,

weil dich der Partner so gut kennt

und nicht bei jedem Schrei wegrennt.

Wenn maskenlos sind Frau und Mann.


Als Baby war man schutzlos, nackt,

genauso ist’s am Sterbetag.

Doch wird das Hinscheiden beklagt,

ist Totenmaske nun gefragt.

Am Ende aller Müh und Plag.


Wenn heutzutag wer Maske trägt,

ganz sichtbar, offen, ist es klar

der will sich schützen, so gepflegt,

dass sich bei ihm kein Virus regt

und er gesund bleibt übers Jahr.


Über den Autor



  • Autorenbild: Maria Schiffinger
    Maria Schiffinger
  • 23. Jan.

Maria Schiffinger: Die Schätze am Dachboden. In: Susanne Hönig-Sorg (Hg.): Im Fluß der Zeit. Horn 1994, S.47-51

2. April 1945: Nach dem Bombenangriff auf Krems war auch der rückwärtige Teil des Geschäftshauses in der Mondlgasse zerstört.
2. April 1945: Nach dem Bombenangriff auf Krems war auch der rückwärtige Teil des Geschäftshauses in der Mondlgasse zerstört.

Als ich geboren wurde, war das Haus in der Unteren Landstraße schon wieder aufgebaut. Ich kannte es niemals anders als heil und ganz, im Unterschied zu den Häusern gegenüber unseren Fenstern in der Mondlgasse und im Eisentürhof, die noch lange nach dem Bombenangriff bis spät in die Fünfzigerjahre zerstört blieben. Der ganze Eisentürhof, wie der Komplex hinter unserem Haus hieß, war durch den Bombenangriff vom 2. April 1945 zerstört worden wie auch andere Teile der Stadt, zum Beispiel das Bahnhofsviertel; doch das war schon weiter weg. Das Haus in der Unteren Landstraße war mein Zentrum, obwohl es am Ende der Landstraße lag, am Ende der Hauptstraße durch die Altstadt.


Dass das Haus bombardiert worden war, ein Teil davon zerstört, das Dach aufgerissen, dass man nur mehr die Sparren sah, konnte ich eigentlich nie glauben. Es erschien mir wie ein Märchen, ähnlich den Erzählungen, dass gleich danach angefangen wurde, die alten Ziegel für den Neuaufbau abzuklopfen und dass da alle zusammengeholfen haben. Auch der Scheibenpflug, der Glasergeselle, war dabei gewesen.


Ab 1947: Wiederaufbau mit Neubau der beiden Balkone. Rechts oben blickt die jung verheiratete Maria Salomon, geb. Pöschl, aus dem Fenster.
Ab 1947: Wiederaufbau mit Neubau der beiden Balkone. Rechts oben blickt die jung verheiratete Maria Salomon, geb. Pöschl, aus dem Fenster.

Das war nur etwa drei Jahre, bevor ich geboren wurde, und doch hatte ich immer das Gefühl, es wäre in grauer Vorzeit passiert, die aber scheinbar näher rückt, so wie Stadtmauern näher gerückt waren mit dem Steinertor und den Gassen und Straßen, bis man alle Namen gekannt hatte und sogar den Erbauer der Stadtpfarrkirche.


Vielleicht aber ist es so ähnlich wie beim Kreuzberg, an dessen Abhang sich die Stadt lehnt und unter dessen Lössterrassen sich Überreste von früher befinden, Feuerstellen zum Beispiel oder Steinspitzen aus der Steinzeit, die dann und wann freigegeben werden und dann greifbar nah vor einem liegen. Obwohl ich mir die Bombardierung nicht vorstellen konnte, musste ich an sie glauben, denn die heimliche Bewunderung, die mir die Erzählung von der Bombardierung später einbrachte, musste ich damit bezahlen, dass die Vergangenheit, die sich auf Antiquitäten, Altertümer und Gerümpel stützt, nicht mehr da war. Der Dachboden war total leer.


Ebenerdig gab es die Glaserei und das Verkaufsgeschäft, im ersten Stock lag unsere Wohnung. Im zweiten Stock wohnten in zwei getrennten Wohnungen die Oma und Tante Mirly und Onkel Toni. Die Stiege, die sich bis dorthin in gleichmäßiger Breite, begleitet von einem prächtigen, gusseisernen Geländer bogenförmig hinaufzog, veränderte dann ihre Form. Sie wurde schmäler, der Bogen enger, die Steinstufen rauer und grauer, bis man dann vor der Dachbodentür stand. Öffnete man mit einem Schlüssel die Tür – zumeist machte dies unsere Hausgehilfin -, so konnte man sich nach rechts oder links wenden. Man sah nur einen großen, langen Ziegelboden, der unterteilt war von den Holzbalken, die solchermaßen abgestützt und seitlich hinaufstrebend, das Ziegeldach trugen. Es war staubig heroben, doch da der Boden in regelmäßigen Abständen gekehrt wurde, war es eben der Staub der Vorwoche, der hier lagerte, kein Stäubchen, das sich plötzlich in einen Schatz verwandeln konnte, womöglich in ein Goldkorn, das in einer Schatztruhe lag.


Obwohl mir immer bedeutet wurde, dass Gewinne, wenn sie nicht selbst erarbeitet waren, suspekt wären, hätte ich doch gerne etwas gefunden, etwas selbst entdeckt. Ich stellte mir vor, Ölgemälde zu finden, die sich als wertvoll entpuppten, oder Landkarten oder zumindest Briefe, die, gebündelt aufbewahrt, Geheimnisse enthielten oder zumindest wertvolle Briefmarken aufgeklebt hatten.


Obwohl ich bald begriffen hatte, dass der Dachboden nichts Wertvolles barg, ging ich doch meist mit hinauf, wenn ich von unserer Hausgehilfin gefragt wurde. Denn die Dachbodentür war immer versperrt, und so hatte es doch seinen Reiz, in etwas nicht immer Zugängliches hineinzukommen. Im linken Teil des Dachbodens hing dann meist die Wäsche auf den Wäscheleinen, mit Holzkluppen festgesteckt.


Auf den Dachboden ging ich dann später kaum mehr hinauf, nicht nur weil die Schule angefangen hatte und ich keine Zeit mehr dafür erübrigte. Ich hatte meinen Weg zu den Schätzen gefunden. Dieser lag in schwarzen Buchstaben verschlüsselt zwischen den Einbänden der Bücher, die wir aus der Stadtbibliothek in der Althangasse entliehen hatten, besonders in den Erzählungen von den fernen Ländern lag der Goldstaub der Verheißung. Da mein Bruder und ich die gleichen Bücher lasen, konnten wir uns manchmal mitsammen auf den Weg machen. So zum Beispiel folgten wir einem Radfahrer, der durch Asien radelte, durch mehrere Bücher nach.


Was sollte ich da noch allein auf dem Dachboden, der nichts barg, oder im Keller, der ebenfalls nichts Geheimnisvolles in sich trug bis auf eine feuchte Finsternis, die nicht einmal erschreckte.


Über die Autorin



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