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Leber für Boris

Autorenbild: Maria SchiffingerMaria Schiffinger
Tante Anni (Anna Kalt) zu Weihnachten mit Kater Boris

In den neun Jahren seines Daseins ist Tante Annis Kater zu einem vollwertigen Familienmitglied geworden, dessen Wohlergehen auch die entferntesten Verwandten interessiert. Neun Jahre haben die Erinnerungen an seine Vorgänger Burli und Fuchsi verblassen lassen; Erinnerungen, die auch bewusst verdrängt werden, da diese jeweils mit dem jähen Verschwinden dieser beiden nacheinander geliebten Katzen enden. Ein Schicksal, das wie ein drohendes Damoklesschwert über jede glückliche Verbindung mit einem selbständigen, unabhängigen Haustier hängt.

Darum wolle sie keine Katze mehr, hatte Tante Anni damals erklärt und hatte sich auf ein langes, katzenloses und damit einer gewissen Freude beraubtes Leben eingestellt. Und doch kamen und kommen jeden Tag viele Kätzchen zur Welt, ja es gibt viel mehr kleine Kätzchen, als dass es große Katzenfreunde gibt. Und wenn man da als Katzenfreundin ohne Katze dasteht, da kommt es schon vor, dass da eines Tages zwei Kinder vor der Tür warten und ein Körbchen in der Hand halten. Sie hätte aufgemacht, erzählt sie damals und da seien die Kinder gestanden und in dem Körbchen wäre Boris gelegen. In meiner Erinnerung heißt es „Boris“ und nicht der Kater, denn der Name, von Cousin Ernst gefunden, war gleich da. Boris war da und die Katzenliebe brannte heller denn je.

In jedem Buch mit Katzengeschichten, das Tante Anni seither liest, spiegeln sich die Eigenschaften von Boris, jedes Katzenbild ist sein Abglanz und jeder Katzenfigur haucht das Dasein von Boris Bedeutung ein. Doch was sind all diese Geschichten, Bilder und Figuren gegen den wirklichen Boris. Er hatte das Stadium des lieblichen Kätzchens schnell hinter sich gebracht und sich zu einem mächtigen grau-weiß getigerten Kater entwickelt. Er entpuppte sich als reinliches Tier, das von Anfang an auf sein Katzenklo ging und sich täglich sein dichtes Fell aufmerksam putzte. Oft lag er damals auf dem Bett neben Oma, wie ein dickes Ruhekissen und doch auch als Wächter ihres Schlafes, in dem sie dahindämmerte.

Boris frisst gerne und gut. Wenn man „Leber für Boris“ beim Fleischhauer verlangt, so bedeutet dies nicht unbedingt, dass man das schlechteste Stück bekommt. Immer wenn ich zu Besuch komme, steht in der Küche neben der Tür gleich sein Schälchen, meist reichlich gefüllt. „Boris ist nicht da“, sagt Tante Anni meistens. Dann kommt er irgendwann zur Tür herein, ein großes, mächtiges Katzentier, mich kaum beachtend, mich kaum mit schrägen Augen ansehend, doch mit gespitzten Ohren und die Füße der Tante umschnurrend. „Boris ist wieder da“, sagt sie dann, und mit einem gewissen Stolz: „Schau, wie eifersüchtig er ist“. Die Gespräche werden unterbrochen und Boris versorgt.

Boris ist der Herr im Haus und doch unabhängig; er kommt und geht, wie es ihm passt. Der Liebe und Zuneigung gewiss, führt er sein eigenes Leben. Da gibt es Kämpfe mit anderen (mannhaften) Katern, Auseinandersetzungen, von denen nur Verletzungen zeugen, da gibt es das Vergnügen der Jagd auf Vögel und Mäuse und Streifzüge durch die Gärten, die sich gleich hinter der Veranda erstrecken. Wind und Wetter, Schnee und Eis können ihn nicht abhalten, sich in den Dschungelkampf seines Katzenlebens zu stürzen. Wieder daheim lässt er sich auf seinen bestimmten Ruheplätzen (die nach Jahreszeiten wechseln) nieder und genießt schnurrend und mit einer gewissen kindlichen Würde die Aufmerksamkeiten und Liebkosungen, die ihm in dieser Lebensgemeinschaft zustehen. Gähnend zeigt er seine spitzen Zähne, wobei die zarten Barthaare leise zittern. Weich und fett, ausgerastet und satt verwandelt er sich jedoch bald wieder in den aggressiven, streunenden Kämpfer, der die Nacht auswärts verbringt. Das Leben mit Boris ist aufregend und wird nie langweilig werden. Er bewahrt die Geheimnisse seiner Art und ist das, als was man ihn sieht: er ist einzigartig!

So war es wie ein Schlag, als sich die Mitteilung verbreitete, dass der Kater Boris seit zwei Tagen abgängig sei. Zuerst beruhigte man sich, dass dies schon einmal vorgekommen sei. Doch das war im Sommer gewesen und jetzt war Dezember. Die frostigen Tage und die eisigen Nächte, die folgten, ließen sein Schicksal ungewiss erscheinen. Doch man tat alles, wovon man sich Erfolg versprach. Am dritten Tag suchte Tante Anni alle Plätze der Umgebung ab! Am vierten Tag fuhr meine Mutter in das Tierheim, wo sie jedoch nur fremde, graue Kater vorfand! Am fünften Tag brachte Cousin Ernst ein Plakat mit Vermisstenmeldung im nahegelegenen Lebensmittelgeschäft an! Am sechsten Tag ließen sich die Erinnerungen an Burli und Fuchsi nicht mehr verdrängen! Inzwischen war ein Warmwettereinbruch gekommen. Das Eis war geschmolzen und die festlichen Lichtergirlanden schwankten in fast frühlingshafter Luft. Die weihnachtliche Hektik strebte dem Höhepunkt zu, doch Tante Anni war wie gelähmt. Wir bemühten uns, sie zu trösten. „Es gibt bestimmt Schlimmeres auf der Welt“, sagte sie dann tapfer, doch, wenn ich dann im Geschäft die Dosen mit Katzenfutter sehe und ich möchte sie mitnehmen...“ Die Weihnachtstage näherten sich. Der hl. Antonius, versinnbildlicht durch eine gütige Statue in der Stadtpfarrkirche, mit schwarzer Eisenkasse darunter, wurde angerufen; der hl. Franziskus als Schutzpatron der Tiere berücksichtigt. Tochter Andrea, die Erstkommunion hinter sich, wandte sich mit ihrem Anliegen gleich an Gott. Scheinbar vergebens, der heilige Abend wurde ohne Boris verbracht. Am Christtag erschienen Cousin Ernst und Tante Anni zum traditionellen Besuch. In glitzernder Bluse stand sie neben dem Lichterbaum und ein Strahlen erhellte ihr Gesicht, als sie es uns verkündete: Ein Weihnachtswunder ist geschehen; heute, am Christtag ist Boris wieder zurückgekommen“.

Zeichnung von DI Ernst Kalt, Sohn von Tante Anni: Kater Boris auf dem Flügel in der Schillerstraße

Boris war wieder da, er hatte in seine Herberge wieder zurückgefunden! Noch liegt er schwach, zerzaust und ruhebedürftig auf seinem Sofa, doch bald werden sich die Zeiten stolzer Freude und heimlicher Befürchtungen wieder abwechseln. Aber so ist das Leben. So ist das Leben mit Boris, Tante Annis Kater.

Auch Tochter Andrea hat zu Weihnachten eine Katze bekommen; eine aus weißem Plüsch, die gehen kann und miaut. Auch das klingt so: Mi, mi, mi, Miau!


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