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  • Autorenbild: Silvia Edinger
    Silvia Edinger
  • 18. Nov. 2022

Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, dass heuer ein Brief von ihr kommen würde. Immerhin hatte sie im November den siebenundneunzigsten Geburtstag gehabt. Nach dem Tod meiner Mutter hatte ich die lange Freundschaft der beiden Frauen brieflich fortgesetzt und jedes Jahr einen Bericht über die Vorkommnisse in der alten Heimat auf die ungewisse Reise geschickt, nicht wissend, ob wieder Antwort folgen würde … Meine Mutter hatte "Tante Lore", wie wir sie nannten, im Volksschulalter kennengelernt. Sie war mit ihren Eltern im Kremstal auf Sommerfrische, der Kargheit der Wienerstadt zu Kriegszeiten zu entfliehen und bei den Bauern durch Mithilfe und Essensspenden besser über die Runden zu kommen. Die beiden Mädchen freundeten sich an. Meine Mutter stand im krassen Gegensatz zu Tante Lore, sie war von schwerem Körperbau, während Lore die Figur einer Tänzerin schon in die Wiege gelegt bekam. Lore nannte meine Mutter immer liebevoll “Radieschen”. Als Lore Tänzerin an der Staatsoper wurde, riss der Kontakt trotz allem nicht ab. Briefwechsel und Besuche hielten uns immer auf dem Laufenden.

Es war ein turbulentes Leben. Während meine Mutter bürgerlich heiratete und in Krems das Leben einer Hausfrau und Mutter führte, heiratete Tante Lore einen Ungarn, von dem sie sich nach kurzer Zeit scheiden ließ. Sie lernte einen reichen Amerikaner kennen, den wir bei den raren Besuchen “Onkel Chuck” nannten. Er war Spezialist für Flughafen-Installationen und damals in Saigon stationiert. Lore unterrichtete dort Diplomatenkinder im klassischen Tanz. Ich erinnere mich an ihren Besuch bei meiner Mutter. Lore mit immer gleich gefärbten Haaren in Hennarot, ein korallenfarbiger Lippenstift, der nach jedem Essen aufgefrischt wurde. In den folgenden Jahren kam Lore nach Wien, um sich liften zu lassen. Sie vertraute der Wiener Chirurgie mehr als der in Amerika. Immer noch schlank und rank und mit glattem, fast puppenhaften Gesicht. All die Jahre konnten wir durch die ausführlichen Briefe den Lebensweg der Wahltante verfolgen. Als Onkel Chuck starb, wurde seine Asche in den Ozean gestreut und bald lernte Lore einen Witwer namens Whittaker kennen, der sie ebenso vergötterte wie Onkel Chuck zuvor. Es kamen Bilder von eleganten Partys in Clubs mit der strahlenden faltenfreien Lore darauf. Auch der letzte Ehemann ließ Lore zurück und so ab dem neunzigsten Geburtstag begann ich um die Antwortbriefe zu bangen …

„Ich bin noch immer da …”, so begann der heurige Brief, eine Seite lang, fast fehlerfrei - nur mit wenigen Ausnahmen in einer englischen Satzstellung. Sie, die fast siebzig Jahre in Amerika lebte, in ihrer Muttersprache Deutsch noch immer sattelfest. Im Schlusssatz dann der Hinweis, dass sie nicht wisse, ob sie nächstes Jahr noch schreiben könne … Ich bin wirklich beeindruckt von Tante Lore und auch dankbar, die Freundschaft meiner Mutter fortführen zu dürfen. Vielleicht kommt nächstes Jahr noch ein Brief - ich lasse es euch wissen.

Über die Autorin


  • Autorenbild: Silvia Edinger
    Silvia Edinger
  • 29. Juli 2022

© Silvia Edinger

Frastanz, Österreich

2005–2019


Ich wollte so malen wie Matthias. Lange hat es gedauert, bis ich einen der begehrten Plätze im Kurs bekam und endlich nach Vorarlberg aufbrechen durfte. Im Kurs dann war ich sehr aufmerksam, prägte mir alles ein, was unser Lehrer sagte. Er führte uns durch die Bilder, erklärte den Farbauftrag, die Spachtelarbeit und Vorbereitungen auf der Leinwand. Die Tage waren randvoll mit Malen, zuhören, aufnehmen, abends machte ich mir Notizen, um nur ja nichts zu vergessen. Oft baten wir Matthias, doch ein Buch zu schreiben, alles hineinzupacken, was er an Tipps und Tricks bei Farben und Techniken auf Lager hat, doch er meinte immer "Es geht nichts verloren" und vertröstete uns mit dem Buchwunsch auf später.


Als ich dann begann, mit Kindern und Erwachsen das bei Matthias Gelernte umzusetzen, verwendete ich seine Erklärungen. Ich gab das weiter, was ich in den Kursen gehört hatte. Wie eine Platte, die man abspielt, gab und gebe ich PanArt Wissen und Erfahrung weiter und führe die, die es möchten, durch und zu einem Bild, bis der individuelle Umgang mit den fließenden Farben selbstverständlich geworden ist.


Einmal malte ich mit einer vierten Volksschulklasse, in der auch meine PanArt-Schülerin Carolina war. Sie war gegenüber ihren Mitschülern klar im Vorteil, denn sie hatte schon oft mit den Farben gearbeitet. Als wir den Farbrhytmus aufgetragen hatten, bat ich Carolina doch das Spachteln zu zeigen, das sie schon oft geübt hatte. Mit der Zahnspachtel in der Hand begann sie, ihren Mitschülern zu erklären, wie sie den Farbrhytmus gestalten und modellieren konnten. Was mich verblüffte: sie verwendete meine Sätze, die sie oft im Kinderkurs gehört hatte und die ich in den Unterweisungen bei Matthias aufgenommen hatte. Es berührte mich sehr, aus ihrem Mund das zu hören, was uns gesagt wurde und mit einem Mal wusste ich, dass Matthias recht hatte, dass nichts verloren geht. Gesehen, gehört, selbst getan... weiter gegeben... passt :)

40 Jahre Lehrtätigkeit, seit 2010 freiberufliche Tätigkeit mit Atelier und Malschule. Verbindung zu Krems durch die Herkunftsfamilie und autobiografisches Schreiben.
"Ich möchte schreibend mein Leben nach rückwärts verstehen und vorwärts leben."
  • Autorenbild: Silvia Edinger
    Silvia Edinger
  • 29. Juli 2022

© Silvia Edinger

Ich hatte sie wirklich vergessen - meine Gedichte. Obwohl ich sie in einem Anfall tiefen Seelendunkels verbrannt hatte, waren sie wieder aufgetaucht. Ich hatte sie einer Freundin geschenkt, die sie mir - Jahre später - zurückschenkte. Da ich der Sicherheit von Computerdateien misstraue, sind alle Texte ausgedruckt in einer Mappe - hier stieß ich gestern auf die Gedichte. Und ich saß da, las, tauchte in die vor vielen Jahren erlebten Gefühle erneut ein. Situationen, Bilder zu den Texten ploppten auf - goldeneHerbsttage, verliebt, im oberen Waldviertel, unbeschwerte Kurstage in Krems, die unwiderstehlichen blauen Augen, die mich in die Tiefe gewinkt haben, Zeile für Zeile Bilder der Vergangangenheit. Ich meinte den Duft des Sommers von damals zu spüren und Wellen des Glücks umspülten mich warm.


Als ich zum Ende der Gedichtseiten kam, fand ich mich im Glückszustand auf dem Sofa wieder - ganz zufrieden, dass ich solch magische Worte geschrieben hatte, Essenzen von Gefühlen, die noch, so viele Jahre später bis tief ins Herz reichen können.


© PANSILVA 2019-08-10

40 Jahre Lehrtätigkeit, seit 2010 freiberufliche Tätigkeit mit Atelier und Malschule. Verbindung zu Krems durch die Herkunftsfamilie und autobiografisches Schreiben.
"Ich möchte schreibend mein Leben nach rückwärts verstehen und vorwärts leben."
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